Partnerporträt

Jürgen Schmidt

CEO von strg.at Gmbh

„Grundsätzlich halte ich die Diskussion darüber, was Kunst ist und was nicht, für sehr gefährlich. Es wird immer im Auge der Betrachter:innen liegen. Auch bloße Ästhetik hat ihre Berechtigung. Aber es muss uns klar sein, dass diese Werke wesentlich einfacher von künstlicher Intelligenz ersetzt werden können.“

Kunst galt lange als das letzte Refugium menschlicher Kreativität. Wenn nun Algorithmen malen, komponieren und schreiben – was bleibt dann noch exklusiv menschlich?
Ich sehe das grundsätzlich nicht so. Es gibt die Kunst, es gibt Wissenschaften, es gibt viele Bereiche, in denen Menschen unglaublich kreativ sind. In meiner Zeit, als ich noch viel programmiert habe, habe ich oft davon gesprochen, dass wir Code malen. Auch die Entwicklung von KI ist ein unglaublich kreativer Prozess. Die Kunst ist also nicht das letzte Refugium menschlicher Kreativität. Um aber dieser Frage näher zu kommen müssen wir uns überlegen, wie derzeit verfügbare KIs eigentlich arbeiten.

Maschinen errechnen mit einer unglaublichen Genauigkeit Muster und reproduzieren sie. Genial! Mit Kreativität und Kunst hat das allerdings (noch) relativ wenig zu tun. Für Kunst braucht es Bewusstsein und hier liegt (noch) unsere menschliche Einzigartigkeit. Es gilt noch immer die wesentliche Frage: Kommt Kunst von Können oder kommt Kunst von Kontext? Eine Maschine ohne Bewusstsein kann keinen Kontext herstellen. Das ist den Menschen vorbehalten und so ist KI ein unglaublich geniales Werkzeug, wohl das Werkzeug unserer Zeit, um Kunst zu produzieren.

Künstliche Intelligenz ist nicht kreativ im herkömmlichen Sinne, sondern rekombiniert bestehende Muster. Bedeutet das, dass wir mit KI lediglich eine neue Form raffinierter Mimesis erleben? Oder erschafft sie tatsächlich etwas radikal Neues?
Derzeit ist das bestimmt so. Wir sprechen ja auch gerne von einem stochastischen Papagei, der mit statistischen Methoden und Wahrscheinlichkeiten Ergebnisse errechnet. Das mag oft unglaublich genial wirken, aber es ist weit davon entfernt, was ich persönlich als künstlerischen Ausdruck bezeichnen würde. Selbst wenn sie etwas radikal neues erschaffen würde, was natürlich in dieser Struktur möglich ist, fehlt das Bewusstsein, aus dem heraus es schafft.
Was mich hier stört, ist aber eher, dass sich die Kunstschaffenden ausschließlich mit generativer KI beschäftigen und das ist nur ein sehr kleines Feld der Möglichkeiten, die uns künstliche Intelligenz als Werkzeug bietet.

Seit Jahrhunderten diskutieren Philosophen über das Genie – von Kant bis Nietzsche. Gibt es so etwas wie ein „künstlerisches Genie“ in der KI oder projizieren wir dabei lediglich menschliche Eigenschaften auf eine Maschine.
Wir projizieren. Wir projizieren allerdings nicht nur hier. Durch die Arbeitsweisen und die Art, wie wir mit generativer KI in einen Dialog treten können, wird uns etwas vorgespielt, das es so nicht gibt. Oder zumindest noch nicht. Wir betrachten “Genie” ja als das Ergebnis einer individuellen Persönlichkeit, tiefer Lebenserfahrung und einer gewissen Unverwechselbarkeit. Gerade in der Kunst geht es sehr stark um die emotionalen Komponenten. Eine KI (zumindest jetzt noch) kann das nicht. Sie hat keine Emotionen, sie kann sie maximal simulieren. Sie arbeitet anhand statistischer Zusammenhänge, die aus Trainingsdaten extrahiert werden können.

Die Kunstgeschichte ist voller Rebellionen – die Renaissance gegen das Mittelalter, die Moderne gegen die Tradition. Ist KI-Kunst der nächste große Bruch oder nur eine weitere Evolutionsstufe des künstlerischen Schaffens?
Wir haben hier ein Werkzeug und vielleicht haben wir sogar das genialste Werkzeug, das wir bisher entwickelt haben. Die Rebellionen, die du ansprichst, waren keine Revolutionen gegen alte Werkzeuge. Es waren Aufstände und gesellschaftliche Umbrüche, die auch in der Kunst Widerhall gefunden haben. Das sehen wir auch in der Geschichte. Velvet Underground hatte massiven Einfluss auf die Kunst der “Plastic People” in Prag 1969 und damit auch einen massiven Einfluss auf die Aufbruchstimmung und ihre Niederschlagung im Prager Frühling. Es gibt Unmengen an solchen Beispielen in der Kunstgeschichte. Aber alle haben gemein, dass die eigentliche Rebellion eine gesellschaftliche ist.

Gerade jetzt stehen wir wieder vor einem großen gesellschaftlichen Bruch. Liberale Demokratie und die Philosophie von Gleichheit stehen zunehmend unter Druck. Tech-Oligarchen als wesentliche Treiber von KI-Entwicklungen greifen mit obskuren Vorstellungen einer Gesellschaft nach der Macht. Gleichheit steht plötzlich einem neuen Freiheitsbegriff diametral gegenüber. Empathie wird als die größte Schwäche unserer Gesellschaft dargestellt. In diesem Kontext steht heute „KI-Kunst“ und in diesem Feld wird sie Antworten auf die Fragen unserer Zeit finden müssen.

Dein gemeinsames Projekt Justitia! mit Gin Müller beschäftigt sich mit Gerechtigkeit. Einem Konzept, das tief in menschlichen Werten und Emotionen verwurzelt ist. Welche Rolle kann eine emotionslose Maschine in diesem Diskurs spielen?
Grundsätzlich war Justitia! ein Projekt von Gin Müller und Laura Andreß. Ich hatte die große Ehre, die beiden zu beraten und unterstützen zu dürfen. Justitia! stellt viele Fragen und eine davon ist Gerechtigkeit und Objektivität. Ist unsere Justiz objektiv und gerecht? Wir diskutieren über den Bias in künstlicher Intelligenz und es ist notwendig zu verstehen, dass dieser Bias von Menschen übernommen wurde. Erst seit ein stochastischer Papagei uns diese ständige Subjektivität spiegelt, beginnen wir zu verstehen, dass unsere Justiz, unser Verständnis von Gerechtigkeit nicht objektiv ist.

Gerechtigkeit muss dem Grundsatz von Gleichheit folgen. Das tut sie in unserem derzeit vorherrschenden System sehr oft nicht. Die Frage, die sich hier stellt, liegt doch genau darin, ob eine Maschine in der Lage ist, diese Emotionen auszuschalten und dadurch zu einem objektiven Urteil kommt.

Können Algorithmen überhaupt gerecht sein? Oder perpetuieren sie lediglich die Ungleichheiten, die ihnen von Menschen einprogrammiert wurden?
Die Frage müsste man fast umdrehen. Können Menschen gerecht sein, oder werden sie immer ihre subjektiven Denkrichtungen in ihrer Urteilsbildung spiegeln? Gerichte haben die Aufgabe der Wahrheit möglichst nahe zu kommen und ein möglichst objektives Urteil zu fällen. Wir sehen schon an dieser Definition, dass es nicht möglich ist, immer die absolute Wahrheit zu erarbeiten und dabei immer völlig objektiv zu handeln. Gerade im Bereich künstlicher Intelligenz programmieren wir ja nicht Regeln, nach denen sich Maschinen dann verhalten. Wir füttern sie mit Trainingsmaterial. Dieses Material kommt z.B. aus vergangenen Gerichtsverfahren. Diese Prozesse und ihre Ergebnisse hatten einen Bias. Wir wissen, dass Gerichte – so wie auch die Gesamtgesellschaft – nicht frei von Rassismen und Sexismen agieren. Es gibt also kaum eine Möglichkeit für eine KI sich dem zu entziehen. In der Gewichtung in einem neuronalen Netz könnte man aber diese Problematiken berücksichtigen. Klingt ein wenig dystopisch, aber damit könnte eine KI gerechter werden, als es Menschen in diesem System derzeit sind.

Wenn KI in der Kunst mitmischt, stellt sich die Frage nach Autorschaft völlig neu. Wem gehört das Kunstwerk – dem Algorithmus, dem Programmierer oder der Person, die es in Auftrag gibt.
Ich glaube, die Frage nach dem Urheberrecht ist überflüssig. Autorenschaft ist etwas menschliches. Wenn KI ein Werk vollständig alleine erstellt, dann gibt es hier kein Urheberrecht oder andere Rechte. Wenn Künstler:innen KI als Werkzeug nutzen und damit arbeiten, dann liegt das Urheberrecht bei eben jenen Künstler:innen. Urheberrecht setzt einen menschlichen Schaffungsakt voraus. Wenn es diesen nicht gibt, dann ist die Frage nach den Rechten überflüssig.


Gibt es in Justitia! eine Art Meta-Kommentar zur Frage, wer in unserer Gesellschaft überhaupt die Defi nitionsmacht über Kunst, Wahrheit und Gerechtigkeit hat?

Ich würde das gerne mit Foucault beantworten. Nach Foucault sind „Wahrheit“ und „Wissen“ eng mit Machtstrukturen verbunden. Wer den Diskurs kontrolliert – also welche Themen diskutiert und wie sie dargestellt werden – übt Macht über die Gesellschaft aus. Also liegt die Definitionsmacht über Kunst immer dort, wo der Diskurs dazu kontrolliert wird. Wenn man das aus der Perspektive der Herrschaftskritik betrachtet, dann geht es um eine Selbstermächtigung, den Diskurs definieren zu können und ihn weiterzuentwickeln. Gerade jetzt haben wir es mit massiven Diskursverschiebungen zu tun. Wahrheit und Gerechtigkeit sind der Herrschaft unterworfen und werden dort definiert. Was wahr ist, was gerecht ist, folgt nicht mehr einer gesellschaftlichen Diskussion. Es wird in den Schaltzentralen der Macht entschieden und findet dort willfährige Helfer (gendern können wir uns an dieser Stelle sparen). In kürzester Zeit werden diese Eckpfeiler unserer Gesellschaft umgestossen und vernichtet. So labil ist unser demokratisches, vom Gedanken der Gleichheit geprägtes Gesellschaftsbild.

Walter Benjamin schrieb über das „Aura“ Problem technischer Reproduktion. Wenn KI unendlich viele Bilder und Texte produzieren kann, entwertet das den künstlerischen Schöpfungsprozess?
Walter Benjamin hatte wohl wenig Chancen, über die Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz nachzudenken. Seine These mag also ein wenig aus der Zeit gerissen sein. Die Reproduktion von Kunst war zu seiner Zeit gerade mal in den Anfängen. Es gab einfache Kopierverfahren und natürlich die Möglichkeit, Kunst mit den gleichen Methoden des Entstehungsprozesses zu reproduzieren, also “nachmalen”. Mit unseren Fragen hat das wenig zu tun. Er bezieht sich auf die einzigartige Präsenz eines unverwechselbaren Originals und die Einbettung in eine bestimmte Tradition und Geschichte. Da haben wir das gleiche Muster, das wir oben schon diskutiert haben. Es geht um den Kontext, in dem ein Werk entsteht und nicht um das Können, ein schönes Bild zu malen. Das mag sehr vereinfacht sein, aber im Kern ist es das.

Was mich in diesen Fragen aber vor allem bewegt, ist, dass es immer nur um die Möglichkeiten von generativer KI geht. Sich auf diesen kleinen Ausschnitt aus den technologischen Möglichkeiten zu reduzieren, halte ich für einen Fehler. Es werden Arbeiten auf Basis von Bio-Computern entstehen, Kunstwerke, die von humanoiden Robotern geschaffen werden. Und aufgrund der Zeit, in der wir leben, werden wir KI-Kunst im Kontext von gesellschaftlicher Rebellion erleben. Dort sehen wir den künstlerischen Schaffensprozess, die Werkzeuge dazu folgen lediglich ihrer Zeit.

Könnte es sein, dass wir in naher Zukunft gar nicht mehr zwischen menschlicher und KI-generierter Kunst unterscheiden – und falls ja: wäre das ein Triumph oder eine Tragödie?
Diese Frage lässt sich so nicht beantworten. In der Kunst, die von Menschen geschaffen wurde, geht es intensiv um den Prozess, in dem das Werk entsteht, um die Emotionen eines Menschen, die Ausdruck im künstlerischen Schaffen finden. Die Unterscheidung zwischen menschlicher und KI-Kunst wird sicher schwierig werden. Es ist aber auch heute für viele Menschen sehr schwer, Kunst als solche zu erkennen. Die Frage ist das eigentliche Kunstverständnis und das setzt aus meiner Sicht Kontext voraus. Schöne Bilder, Texte ohne Ecken und Kanten sind in meinem Verständnis von Kunst noch weit entfernt. Heute ist es noch recht einfach. Die Musik ist trivial, die Texte sind beliebig, die Bilder lassen sich leicht erkennen. Das wird mit künftigen Modellen anders und schwieriger werden. Im Wesentlichen aber fehlt der KI-Kunst der Schaffensprozess und das Bewusstsein.

Die KI-Kunst ist jung, doch ihre Entwicklung exponentiell. Wird es den Menschen in 50 Jahren noch als „Schöpfer“ in der Kunst geben? Oder wird er zum Kurator einer Maschinenästhetik degradiert?
Meine Glaskugel ist gerade auf Urlaub. Grundsätzlich glaube ich das überhaupt nicht. Ich denke, man kann solche Gedanken nur hegen, wenn man der Kunst nicht zutraut, sich selbst zu verändern und neu zu erfinden. Wir haben oben ein wenig Kunstgeschichte besprochen. In den nächsten 50 Jahren wird aufgrund der technologischen Möglichkeiten die Kunst neu erfunden werden. Ich erinnere mich gut an die vielen Diskussionen in der Musik, als die Synthesizer auftauchten, als PD als programmierbares System für avantgardistische elektronische Musik eingesetzt wurde. “Sind das noch Musiker:innen?” … Ist das noch Kunst? Ich glaube, die Geschichte der letzten 30 Jahre hat das sehr eindeutig beantwortet und es hat anderen Musikgenies damit nichts genommen.

Zum Schluss eine Frage, die fast schon platonisch anmutet: Kann Kunst ohne Bewusstsein existieren? Oder ist es nicht genau dieses Bewusstsein, das ein Werk von bloßer Ästhetik unterscheidet?
Nein, Kunst ist Ausdruck eines Bewusstseins, sonst sind es schöne Bilder. Kunst braucht diesen Kontext, sonst ist ihre Aussage dünn und man mag vielleicht auch sagen, es macht sie billig. Grundsätzlich halte ich die Diskussion darüber, was Kunst ist und was nicht, für sehr gefährlich. Es wird immer im Auge der Betrachter:innen liegen. Auch bloße Ästhetik hat ihre Berechtigung. Aber es muss uns klar sein, dass diese Werke wesentlich einfacher von künstlicher Intelligenz ersetzt werden können.

Bewerten möchte ich das nicht. Algorithmen würden auch nicht bewerten, sie sind nicht positiv oder negativ. Algorithmen, die hier arbeiten, sind nicht einmal neutral. Wird Kunst mit ihren neuen Werkzeugen und Möglichkeiten die neu entstandene Herrschaftsstruktur angreifen. Wird sie sich gegen die Faschisierung und Militarisierung der Gesellschaft wenden? Wird sich Kunst für die Macht instrumentalisieren lassen oder kann sie einen Beitrag dazu leisten, unsere liberal demokratische Ordnung weiter zu entwickeln.

Kunst kann den neuen Faschisten die Masken vom Gesicht reißen. Das ist ihre Aufgabe und das ist auch die Differenz zwischen Kunst und schöner Ästhetik.

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